Donnerstag, 26. September 2013

Berlin - 14. September 2013: 100. Mauerstreifzug

S-Bahnhof Wollankstraße

Es ist ein freundlicher, sonniger Samstagnachmittag in Berlin. Annähernd 100 Radlerinnen und Radler treffen am S-Bahnhof Wollankstraße ein, um sich zusammen mit Michael Cramer auf einen seiner "Mauerstreifzüge" zu begeben und die Spuren der jüngeren Geschichte zu "erfahren". Auch wir sind diesmal mit von der Partie.

Die Radlerinnen und Radler treffen ein

Wie beliebt diese Erkundigungen in der Bundeshauptstadt sind, zeigt sich daran, dass es sich bereits um die 100. Tour handelt. Und was uns ganz besonders freut: der "Erfinder" des Iron-Curtain-Trails steht uns vor Beginn der Ausfahrt  für ein kleines Exklusivinterview zur Verfügung.



Begrüßung durch Michael Cramer











Hier ist das Gespräch, das Pit mit Herrn Cramer führen konnte:

 
Pit interviewt Michael Cramer

Pit: Herr Cramer, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich heute für uns Zeit genommen haben. Wie wir vorhin schon erwähnt haben, sind wir vor ein paar Jahren darauf gestoßen, dass Sie Mitinitiator dieser, für unsere Begriffe, tollen Radroute sind. Dieses Jahr haben wir unsere zweite Etappe absolviert und sind dabei von Finnland bis nach Polen gekommen. Würden Sie uns bitte erzählen, wie Sie denn die Idee hatten, eine so große Radstrecke zu kreieren, mit dem Charakter West-Ost-Beziehung aufzuarbeiten und - wie Sie in Ihrem Buch ja beschrieben haben - auch tatsächlich zu „erfahren“.


Michael Cramer: Ich komme ja aus Berlin und als die Mauer fiel hatten die Grünen und der ADFC zu dieser Zeit schon die Idee, dort wo die Mauer stand, müsste man einen Radweg machen. Das gibt's ja in manchen Städten entlang früherer Stadtmauern. Aber damals lautete die Parole von der Politik und von den Medien : "Die Mauer muss weg!" - da war nichts zu machen. Und als dann im Jahr 2001 der 40. Jahrestag des Mauerbaus kam, haben wir die Idee des Mauerradwegs noch mal aufgegriffen und eine Broschüre gemacht. Als ich den Antrag im Abgeordnetenhaus vorgestellt habe, sagte der Senatsvertreter: "Herr Cramer, haben Sie eigentlich nichts besseres zu tun, als am Wochenende immer die Mauer rauf und runter zu radeln?"
Interessierte "Mauerradler"
Ein halbes Jahr später hat der Senat das Konzept beschlossen. Heute ist die Strecke fahrradfreundlich ausgebaut, mit 900 Schildern ausgewiesen und ist jetzt ein touristisches Highlight. Wir wollten das „Grüne Band“ dann auch auf die Bundesebene übertragen, weil ja nicht nur Berlin sondern auch Deutschland gespalten war und haben dem Bundestag die Idee, das Grüne Band zu schützen und es fahrradfreundlich erfahrbar zu machen, vorgestellt. Und dafür habe ich dann 2004 die einstimmige Mehrheit erhalten!
Als ich 2004 ins Europaparlament gewählt wurde, war einer meiner ersten Berichte, den ich mitbehandelt habe "Sustainable Tourism" - nachhaltiger Tourismus. Und der Berichterstatter war ein konservativer Portugiese, der die europäische Identität suchte. Ihm habe ich gesagt: „Schauen Sie mich an: ich bin Westfale und mache als Berliner für Deutschland europäische Politik. Aber von der Spaltung Europas und der Wiedervereinigung, da waren alle betroffen. Alle in Europa, Sie ganz weit weg und wir ganz nah dran.“ Er hat diesen Antrag übernommen und eine große Mehrheit, aus allen Fraktionen und aus allen Ländern, hat sich dafür ausgesprochen. Dann wurden Workshops gemacht in Sofia, in Sopron und in Warschau. Da haben alle 20 Länder, die daran beteiligt sind, ihre Delegationen geschickt.
Kompetenter Begleiter der Mauerstreifzüge
Im nächsten Jahr haben wir 2014. Da denken wir natürlich an 100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre Beginn des Zweiten und 25 Jahre Fall der Mauer in Berlin, des Eisernen Vorhangs in Europa. All diese drei Daten gehören zusammen. Ohne den Ersten hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben, und ohne den Zweiten nicht die Spaltung und die Wiedervereinigung Europas. Insofern passt dieses Konzept.



Pit: Sind Sie selber auch schon ein Stück dieser Europaradroute gefahren, also jetzt außerhalb dieser Berliner Mauerradwege?


Michal Cramer: Anders als den Berliner Mauerradweg, da bin ich natürlich alles gefahren, und anfangs war ich der einzige, der noch wusste, wo man entlangfahren kann, konnte ich das natürlich nicht. Ich bin ja für andere Zwecke gewählt worden. Aber knapp die Hälfte des Iron-Curtain-Trails habe ich auch schon geradelt. Also den deutsch-deutschen Teil habe ich perfekt, dann auch von der deutsch-tschechischen Grenze bis Szeged, dann habe ich im Grunde den serbischen Teil bis Vidin etwa gemacht, habe Teile in Mazedonien, auch Teile jetzt in Estland, Litauen und Lettland geradelt. Mein Ziel ist aber, auch alles radeln zu können. Also ich freue mich, dass Sie das gemacht haben und beneide Sie ein bisschen.
An der Hinterlandmauer wird künstlerisch gearbeitet


Pit: Wir sind ja noch mittendrin..... Kennen Sie jemanden, der schon 'mal die ganze Strecke gefahren ist?


Michael Cramer: Ja, ich habe mehrere Leute, die das alles gefahren sind und im nächsten Jahr gibt's auch fünf Leute, die alles schon perfekt organisiert haben. Die starten dann am 29. Juni. Damals - 1989 - haben Alois Mock und Gyula Horn den Eisernen Vorhang geöffnet. Die Gruppe startet oben in Grense Jakobselv, bei Kirkenes, und radelt dann bis Istanbul.


Pit: Wow!


Michael Cramer: Das sind dann teilweise Ex-Profis, Mountainbiker. Da ist auch Frau Marunde dabei, die war mal Querfeldeinmeisterin. Die propagieren das auch und das gefällt mir.
Mauerrest in der Bernauer Straße


Pit: Ja, wunderbar! Wie muss man sich das vorstellen, wie stimmen sich die Länder untereinander ab? Gibt es da gewisse Standards, die erzielt werden sollen, was die Beschilderung anbelangt? So haben wir z.B. noch kein einziges Schild gesehen, wo tatsächlich "Iron-Curtain-Trail" drauf steht. In den baltischen Staaten, die wir ja abgefahren haben, ist es in großen Teilen die Route des Ostseeküstenradwegs, der EuroVelo 10. In Estland gab's eine gute Beschilderung, in den Nachbarländern danach teilweise gar keine. Gibt's da irgendwie einen Austausch, auch wie der Zustand der Straßen bzw. der Radwege sein sollte? Denn da hatten wir eine ganze Palette von fast ungeeignet bis Sandwege und dann auch wunderbar ausgewiesene und auch tatsächlich gut gepflegte Radwege beispielsweise jetzt in Litauen.


Michael Cramer: Ja, also die Route ist "a work in progress". Nach fünf Kriterien ist sie ausgewählt: so nah wie es geht an die Grenze, aber so komfortabel wie möglich. Denn 10 Kilometer Lochplattenwege, das hab ich mal gemacht - nie wieder und das würde ich Ihnen auch nicht empfehlen! Stark befahrene Straßen meidend, mal im Osten, mal im Westen zu sein, um ein Feeling zu haben, Mensch, vor 25 Jahren war das gar nicht möglich - heute brauche ich noch nicht einmal den Pass zu zeigen. Und die Reste der Wachtürme, Grenzzäune, Open-Air-Museen in die Route zu integrieren.
Dieser ehemalige Wachturm konnte
vor dem Abriss gerettet werden
Nach diesen fünf Kriterien arbeiten jetzt die Organisationen dran, es gibt ja den ADFC in allen Ländern und auf europäischer Ebene ist es der ECF, European Cyclists’ Federation. Und die arbeiten mit ihren Partnern und suchen z.B., wo ist eine bessere Route.
Es soll auch ausgeschildert werden, und zwar nach EuroVelo 13. So ist beispielsweise der Donauradweg komplett ausgeschildert. Dort braucht man nur noch das entsprechende Symbol. Und ausgeschildert ist die Etappe in der Slowakei zu 80%. Die haben fast alles ausgeschildert, weil das mit dem March-Radweg identisch ist, die haben einfach die Symbole drauf gemacht. Dann gibt es zwischen Sonneberg und Neustadt bei Coburg auch schon eine Ausschilderung. Und jetzt gerade verhandeln die beiden Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein um eine gemeinsame Route und eine gemeinsame Beschilderung. 


Pit: Also das klingt ja sehr vielversprechend und spannend. Also
noch einmal ganz herzlichen Dank für Ihr Engagement und ganz toll auch, dass Sie hier diese geführten Mauerstreifzüge anbieten, was für uns ja mit ein Anlass war heute hierher nach Berlin zu kommen. Wir werden Sie mit unserer bescheidenen Tour über die nächste Zeit auch auf dem laufenden halten. Vielen Dank für Ihr Interesse, für Ihr Engagement und weiter so! Vielen Dank.


Michael Cramer: Ich danke auch und wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß bei der Erfahrung von Geschichte, Politik, Natur und Kultur in Europa.



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